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Promotion Der Raum der documenta Eine kunstwissenschaftliche Untersuchung des Szenografischen der politischen und gesell- schaftlichen Öffnung der Kunstausstellung am Beispiel der documenta 1987 und 2002 Die szenografische und architektonische Verbindung zwischen der Ausstellung und dem verfügbaren Raum der Stadt Kassel, ist signifikanter Bestandteil der Ausstellungsreihe documenta. Um sich der wechselnden Ausstellungsgestaltung der documenta adäquat zu nähern, wird ein raumbezogenes Begriffsmodell konzipiert und zur Anwendung gebracht. Die Reduktion auf den Raum an sich gestattet auf Grundlage von inter- und transdisziplinären Raumtheorien und -termini eine bisher fehlende kunstwissenschaftliche Raumdefinition und interpretiert den aus dem Theater entlehnten Begriff ‚Szenografie‘ für die Kunstwissenschaft. Innerhalb des herausgearbeiteten raumbezogenen Begriffsmodells wird der euklidisch-empirische Raum als Gebäudebestand, also als Bauwerk oder Areal (individuell) wahrnehmbar und zugleich messbar definiert. Dieser Raum ist nicht indeterminiert: Ausstellungsgestaltungen reagieren primär auf die Strukturen des euklidisch- empirischen Raums. Auf dessen Grundlage entsteht der produzierte Raum, der als zweidimensionale (orthogonale) Projektion, also als Gebäudegrundriss geplant und durch Ausstellungsarchitektur eingebracht wird. In der Folge werdenräumliche Eigenschaften transdisziplinär zur Konkretisierung der Gestaltung von Ausstellungen für die Kunstwissenschaft benennbar. Eingedenk dessen kann der Raum als architektonische, soziologische, philosophische sowie psychologische Entität, die diffizilen Wechselwirkungen zwischen Atmosphären, Individuen und Objekten in Kunstausstellungen eingrenzen und charakterisieren. Jede documenta-Ausstellung ist zudem innerhalb einer variablen kuratorischen Hypothese ver- woben. Folglich bedarf es einer weitergehenden Methode zur Quantifikation der Szenografie der Ausstellungsreihe außerhalb künstlerisch-selbstreferentieller Parameter. Dies findet in den jeweiligen Ausstellungsarchitekturen seinen Ausdruck. Manfred Schneckenburger und Okwui Enwezor öffnen 1987 und 2002 den Kontext ihrer Ausstellungen: die ausgestellten Künstler*innen argumentieren innerhalb eines außerreferentiellen, gesellschaftsbezogenen, zumeist politischen Gesamtkonzeptes. Zudem verdichten die Kurator*innen ihr Konzept in der Zusammenarbeit mit Ausstellungsarchitekt*innen innerhalb der Ausstellungsarchitektur ihrer documenta-Ausstellungen. Seit 1955 bietet das Museum Fridericianum den euklidisch-empirischen Raum der documenta. Der 1954 wieder aufgebaute Raum der documenta 1955 bietet sich als ungenutzter Rohbau für die Ausstellung an. Von der Auflösung konkreter künstlerischer Kennzeichen sowie dem Ge-samtausbau des traditionellen euklidisch-empirischen Raums geprägt, wird durch Manfred Schneckenburgers documenta 8 1987 eine ausstellungsarchitektonische Auseinandersetzung mit dem Museumkonzept an sich angestrebt: Die documenta als Prototyp gegenwärtiger Kunst-ausstellungen wird in Opposition zum Museum gestellt und konkretisiert innerhalb der Ausstel-lungsarchitektur eine aus Sicht des Architekten Vladimir Lalo Nikolić adäquate Präsentationsform zeitgenössischer Kunst. Im Sinne einer postkolonialen Ausrichtung greift die Documenta11 2002 schließlich die Thesen von Catherine Davids documenta X 1997 auf und überführt die documenta in eine über die Ausstellung in Kassel hinausreichende, fünfteilige Veranstaltung. Durch eine transparente Recherche macht Enwezor seine Idee einer documenta zu Beginn des 21. Jahrhunderts dem Publikum zugänglich. 2002 wird das periphere leerstehende Industrieareal der Binding-Brauerei zum Zentrum der Documenta11. Innerhalb dieser Architektur, welche alle Beteiligten der Ausstellung – Kurator*innen, Künstler*innen, Besucher*innen – impliziert, überführen die Architekt*innen KuehnMalvezzi das Ausstellungsgebäude der Binding-Brauerei in ein dynamischesPrinzip offener Handlungsräume. Das dreiteilige Begriffsmodell schafft am Beispiel der beiden spezifischen Ausstellungen die Möglichkeit einer prinzipiellen, kunstwissenschaftlichen Charakterisierung der Ausstellungsge- staltung. Prämisse dessen ist gleichwohl die konstitutive Integration des vorgefundenen Raums einer Ausstellung durch die Ausstellungsmachenden. Wird der euklidisch-empirische Raum allein als unkonkrete Hülle und ohne inhaltlichen Bezug einer Kunstpräsentation verstanden, ist eine Betrachtung und Konkretion dessen, wie sie durch das raumbezogene Begriffsmodell ermöglicht wird, weniger geeignet. Veröffentlichung: Großpietsch, Simon, Der Raum der documenta. Eine kunstwissenschaftliche Untersuchung des Szenografischen der politischen und gesellschaftlichen Öffnung der Kunstausstellung am Beispiel der documenta 1987 und 2002, Kassel 2020. ISBN: 978-3-7376-0802-2 Kartoniert, Paperback, DIN A4, 336 Seiten, 217 s/w Abbildungen. Inhaltsverzeichnis
Modell des Erdgeschosses des Museum Fridericianum mit der Ausstellungsarchitektur der documenta 8. Modell und Foto: Simon Großpietsch.
Ein Geh- und Fußwege-Schild der Documenta11 mit Verweis auf die Bindung-Brauerei sowie das Orientierungsschild aus der Binding-Brauerei mit der zweidimensionalen (orthogonalen) Projektion des Ausstellungsgebäudes in Pergamin im Privatarchiv. Foto: Simon Großpietsch.
Modell des Erdgeschosses des Museum Fridericianum mit der Ausstellungsarchitektur der documenta 8. Modell und Foto: Simon Großpietsch.
Ein Geh- und Fußwege-Schild der Documenta11 mit Verweis auf die Bindung-Brauerei sowie das Orientierungsschild aus der Binding-Brauerei mit der zweidimensionalen (orthogonalen) Projektion des Ausstellungsgebäudes in Pergamin im Privatarchiv. Foto: Simon Großpietsch.
Promotion Der Raum der documenta. Eine kunstwissenschaftliche Untersuchung des Szenografischen der politischen und ge- sellschaftlichen Öffnung der Kunstausstellung am Beispiel der documenta 1987 und 2002 Die szenografische und architektonische Verbindung zwischen der Ausstellung und dem verfügbaren Raum der Stadt Kassel, ist signifikanter Bestandteil der Ausstellungreihe documenta. Um sich der wechselnden Ausstel- lungsgestaltung der documenta adäquat zu nähern, wird ein raumbezogenes Begriffsmodell konzipiert und zur Anwendung gebracht. Die Reduktion auf den Raum an sich gestattet – auf Grundlage von inter- und transdisziplinären Raumtheorien und -termini – eine bisher fehlende kunstwissenschaftliche Raumdefinition und interpretiert den aus dem Theater entlehnten Begriff ‚Szenografie‘ für die Kunstwissenschaft. Innerhalb des herausgearbeiteten raumbezogenen Begriffsmodells wird der euklidisch-empirische Raum als Gebäudebestand, also als Bauwerk oder Areal (individuell) wahrnehmbar und zugleich messbar definiert. Dieser Raum ist nicht indeterminiert: Ausstellungsgestaltungen reagieren primär auf die Strukturen des euklidisch-empirischen Raums. Auf dessen Grundlage entsteht der produzierte Raum, der als zweidimensionale (orthogonale) Projektion, also als Gebäudegrundriss geplant und durch Ausstellungsarchitektur eingebracht wird. In der Folge werden räumliche Eigenschaften transdisziplinär zur Konkretisierung der Gestaltung von Ausstellungen für die Kunstwissenschaft benennbar. Eingedenk dessen kann der Raum als architektonische, soziologische, philosophische sowie psychologische Entität, die diffizilen Wechselwirkungen zwischen Atmosphären, Individuen und Objekten in Kunstausstellungen eingrenzen und charakterisieren. Jede documenta-Ausstellung ist zudem innerhalb einer variablen kuratorischen Hypothese verwoben. Folglich bedarf es einer weitergehenden Methode zur Quantifikation der Szenografie der Ausstellungsreihe außerhalb künstlerisch-selbstreferentieller Parameter. Dies findet in den jeweiligen Ausstellungsarchitekturen seinen Ausdruck. Manfred Schneckenburger und Okwui Enwezor öffnen 1987 und 2002 den Kontext ihrer Ausstellun-gen: die ausgestellten Künstler*innen argu-mentieren innerhalb eines außerreferentiellen, gesellschaftsbezogenen, zumeist politischen Gesamtkonzeptes. Zudem verdichten die Kurator*innen ihr Konzept in der Zusammenarbeit mit Ausstellungsarchitekt*innen innerhalb der Ausstellungsarchitektur ihrer documenta- Ausstellungen. Seit 1955 bietet das Museum Fridericianum den euklidisch-empirischen Raum der documenta. Der 1954 wieder aufgebaute Raum der documenta 1955 bietet sich als ungenutzter Rohbau für die Ausstellung an. Von der Auflösung konkreter künstlerischer Kennzeichen sowie dem Gesamtausbau des traditionellen euklidisch-empirischen Raums geprägt, wird durch Manfred Schneckenburgers documenta 8 1987 eine ausstellungsarchitektonische Auseinandersetzung mit dem Museumkonzept an sich angestrebt: Die documenta als Prototyp gegenwärtiger Kunstausstellungen wird in Opposition zum Museum gestellt und konkretisiert innerhalb der Ausstellungsarchitektur eine aus Sicht des Architekten Vladimir Lalo Nikolić adäquate Präsentationsform zeitgenössischer Kunst. Im Sinne einer postkolonialen Ausrichtung greift die Documenta11 2002 schließlich die Thesen von Catherine Davids documenta X 1997 auf und überführt die documenta in eine über die Ausstellung in Kassel hinausreichende, fünfteilige Veranstaltung. Durch eine transparente Recherche macht Enwezor seine Idee einer documenta zu Beginn des 21. Jahrhunderts dem Publikum zugänglich. 2002 wird das periphere leerstehende Industrieareal der Binding-Brauerei zum Zentrum der Documenta11. Innerhalb dieser Architektur, welche alle Beteiligten der Ausstellung – Kurator*innen, Künstler*innen, Besucher*innen – impliziert, überführen die Architekt*innen KuehnMalvezzi das Ausstellungsge-bäude der Binding-Brauerei in ein dynamisches Prinzip offener Handlungsräume. Das dreiteilige Begriffsmodell schafft am Beispiel der beiden spezifischen Ausstellungen die Möglichkeit einer prinzipiellen, kunstwissenschaftlichen Charakterisierung der AusstelLungsgestaltung. Prämisse dessen ist gleichwohl die konstitutive Integration des vorgefundenen Raums einer Ausstellung durch die Ausstellungsmachenden. Wird der euklidisch-empirische Raum allein als unkonkrete Hülle und ohne inhaltlichen Bezug einer Kunstpräsentation verstanden, ist eine Betrachtung und Konkretion dessen, wie sie durch das raumbezogene Begriffsmodell ermöglicht wird, weniger geeignet. Veröffentlichung: Großpietsch, Simon, Der Raum der documenta. Eine kunstwissenschaftliche Untersuchung des Szenografischen der politischen und gesellschaftlichen Öffnung der Kunstausstellung am Beispiel der documenta 1987 und 2002, Kassel 2020. ISBN: 978-3-7376-0802-2 Kartoniert, Paperback, DIN A4, 336 Seiten, 217 s/w Abbildungen. Inhaltsverzeichnis
Dr. Simon Großpietsch
Dr. Simon Großpietsch