Säulengang06
WIE MEINE HOFFNUNG SICH ERHEBT IN DIESEN
HEILIGEN HALLEN!
Unrealisierte Ausstellung
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Konzept
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Idee
Zum Abschluss des Sommersemesters 2006
präsentierte sich die Kunsthochschule in der
Universität Kassel im Rahmen des alljährlich
stattfindenden Rundgangs. In diesem Rahmen
sollte erstmals der Säulengang von
einem*einer Studierende*n der
Kunstwissenschaft kuratorisch einbezogen
werden.
Das nachstehende, weitestgehend finale
Konzept, im Mai 2006 für die vorgeschlagene
Ausstellung „Säulengang06 – WIE MEINE
HOFFNUNG SICH ERHEBT IN DIESEN HEILIGEN
HALLEN“ verfasst (und im Juli 2025
orthografisch und grammatikalisch leicht
korrigiert und sprachlich angepasst), wurde
seinerzeit seitens des betreuenden Professors
abgelehnt. So blieb die Ausstellung für immer
unrealisiert.
Einführung
Säulengang06 – WIE MEINE HOFFNUNG SICH
ERHEBT IN DIESEN HEILIGEN HALLEN ist eine
Ausstellung, die versucht, das erwartungsvolle
Spannungsverhältnis zwischen jungen
Künstler*innen und ihrer Umwelt auszuloten.
Ausgangspunkt ist dabei die Raum- und
Präsentationssituation eines konventionellen
Rundgangs an der Kunsthochschule Kassel.
Überlegungen zu den nicht immer klar
ersichtlichen Auswahlkriterien der Werke
sowie deren Präsentation bzw. Hängung im
Rahmen des Rundgangs fließen in die Arbeit
zu Säulengang mit ein.
Die Koordinaten und Möglichkeiten einer
Ausstellung sind im gegebenen
Hochschulkontext das zentrale Thema und
poetisch im Titel verankert. Es geht um die
Auslotung von Grenzen, sowohl territorial,
also bezogen auf den vorgegebenen Raum, als
auch imaginativ. Daraus ergibt sich ein erster
konzeptueller Dreischritt: Raum, Kunstwerk
und Imagination. Dieser wird sich auf
unterschiedliche Weise in der Ausstellung
widerspiegeln. Doch ist diese Überlegung
nicht aus der Not geboren. Und dies ist auch
nicht das Thema von Säulengang06. Vielmehr
handelt es sich um eine Reaktion auf das, was
sich – ausgehend von einer gesellschaftlichen
Haltung gegenüber Kunst – im Mikrokosmos
Kunsthochschule spiegelt. Diese Haltung
bildet eine Art Prämisse für das Verständnis
des Ausstellungsaufbaus.
Sucht man nach einer Referenz für die
Ausstellung, wird deutlich: Junge
Künstler*innen an der Kunsthochschule
bewegen sich stets in einem sie umgebenden
Erwartungsfeld. Das ist zunächst nicht
ungewöhnlich, schließlich trägt ein junger
Mensch idealerweise eine zukunftsgerichtete
Spannung in sich, die eine kontinuierliche
Auseinandersetzung mit sich selbst, seiner
Umwelt und seinem Tun bedingt.
Künstler*innen jedoch haben – im
Unterschied zu nicht-künstlerisch Tätigen –
die Möglichkeit, diese Auseinandersetzung in
einem Schaffensprozess zu bündeln,
zuzuspitzen oder sichtbar zu machen. Dieser
Prozess beruht auf dem Glauben und der
Hoffnung, dass sich die gegebene Umwelt
durch Kunst verändern lässt.
Die genannten Erwartungen äußern sich auf
unterschiedliche Weise. Ob naiv oder
berechnend ist dabei weniger entscheidend
als die Tatsache, dass stets ein Motiv der
Hoffnung in diesen Prozessen mitschwingt;
eine Hoffnung, die sich in vielfältigen Phasen
des Schaffens in den Arbeiten widerspiegelt.
Diese Überlegung ist keineswegs rein
selbstreferenziell, sondern bezieht auch
Begriffe ein, die außerhalb des künstlerischen
Arbeitens liegen und stellt damit ein durchaus
bewusst eingegangenes Wagnis dar.
Thematisiert wird dabei ebenso die Frage
nach dem Selbstverständnis von Kunst wie
auch die Unsicherheit darüber, welche
Position Künstler*innen in einer sich ständig
wandelnden Gesellschaft einnehmen können
oder sollen. Sie bewegen sich in einem
Spannungsverhältnis zu bereits etablierten
Strukturen, die ihnen wenig Raum für eigenes
Schaffen lassen. Künstlerisches Wirken ist
somit stets auch ein Eindringen in bestehende
Ordnungssysteme, konfrontiert mit einem
Katalog an Kategorien, Begriffen,
theoretischen oder analytisch-rationalen
Erwartungen. Doch will das die Kunst? Gibt
sie nicht bereits an dieser Stelle ihre
ureigenen Prinzipien preis, wenn sie auf die
Freiheit verzichtet, immer wieder neue
Perspektiven in einer sich wandelnden Welt
einzunehmen?
Ein rund vierminütiges Video empfängt die
Besucher*innen am Eingang der Ausstellung
und soll eine Verbindung zwischen den
verschiedenen künstlerischen Haltungen
ermöglichen. Eine Balletttänzerin „betanzt“
die Ausstellung und bringt so eine
interdisziplinäre Dimension ein. Diese Form
künstlerischen Ausdrucks erscheint im
Hochschulkontext zunächst ungewöhnlich.
Doch ihr Einsatz ist weder rein ästhetischer
noch dekorativer Natur. Vielmehr hinterfragt
er auf direkte – vielleicht pathetische – Weise
das Selbstverständnis von Kunst, ohne es zu
bewerten. Dadurch, dass die Tänzerin jede
Arbeit passiert, werden auch die räumlichen
Grenzen thematisiert und in Beziehung zu den
Werken gesetzt. Der imaginative wie der
physische Raum treten durch den Tanz in ein
neues Verhältnis zueinander.
Anders als beim traditionellen Rundgang wird
Säulengang06 die Ausstellungssituation
konsequent nach den Bedürfnissen der Kunst
gestalten. Der Anspruch zieht sich durch alle
Aspekte der Ausstellung. Der radikalste
Schritt dabei: den Arbeiten keine weißen
Wände zu bieten. Die nervöse Raumsituation
mit zwei durchgehenden Fensterfronten lässt
eine interventionslose Hängung ohnehin nicht
zu. Während Weiß alle einfallenden Farben
und Lichtreflexe spiegelt und vom Werk
ablenkt, wird ein grauer Anstrich die
Aufmerksamkeit stärker auf die Kunstwerke
lenken. Zudem werden exponierte Fenster mit
halbtransparentem Papier verhangen.
Säulengang06 möchte die bestehenden
Strukturen nicht kritisieren – im Gegenteil.
Indem die Ausstellung den jungen
Künstler*innen einen eigenen Raum eröffnet,
können sich ihre individuellen Hoffnungen
und Erwartungen entfalten: über sich, ihre
Arbeit, ihre Umwelt, über die Gesellschaft.
Diese Möglichkeit versteht sich nicht als
agitative Plattform, auf der Meinungen
plakativ propagiert werden. Hoffnung
künstlerisch darstellen heißt vielmehr, mit
Emotionen zu arbeiten, die oft in einer stillen
Form von Hilf- oder Schutzlosigkeit
erscheinen. Eine Hoffnung, die intuitiv an
etwas glaubt, das bereits verloren schien oder
angesichts von Resignation und Ohnmacht als
selbstverständlich galt. Eine Haltung freier,
verantwortlicher und leidenschaftlicher
Subjektivität. Eine Haltung, die auch dem*der
Kunstvermittler*in zukommen sollte. Und sei
es nur, um einer kapitalistischen Maschine,
die oft Mutlosigkeit produziert, etwas
entgegenzusetzen.
Diesen Anspruch macht sich Säulengang06
zum Leitmotiv. Die Ausstellung lässt die
Arbeiten kommunizieren, miteinander in
Beziehung treten. Sie schafft bewusst
Freiräume: dort, wo sich der*die Besucher*in
bewegt, zwischen den Arbeiten, durch den
Dialog. Das eingangs platzierte Video möchte
diesen Dialog anstoßen. Säulengang06 lässt
sowohl rationale Prinzipien als auch
emotionale Erfahrungsräume zu – im
einfachen, aber folgenreichen Akt der
Hoffnung.
Mai 2006 | Juli 2025
19.–23. Juli 2006
Kunsthochschule Kassel
Co-Kuratorin:
Saskia Unterberg
Betreuung Rundgang:
Bernhard Prinz
Gestaltung:
Konrad Polzer, artechodesign
Foto: Marion Koch