4.
Na toll, nicht nur dass Jule mich angelogen hat (Nein, du hast dich überhaupt nicht daneben benommen!!), ich kann es ihr noch nicht mal übel nehmen, weil ich sie ja auch angelogen hab (Spätzchen ich habe dir noch nicht mal angemerkt, dass du betrunken warst.). So ein Mist! Also wieder auf mein Bett legen und hoffen, dass das Brummen in meinem Schädel und das Schwirren in meinem Magen endlich aufhört. Wird nicht besser. Also lege ich mich in die Badewanne, mit einem Buch, Saft, Tiefkühlpizza und meinem Telefon. Die Situation schreit nach einem Telefonat mit meinem „Guten-Gewissen-Kummerkasten-Super-Nanny“ Freund, meinem Simon. Ich werde ihn heiraten, wenn ich mit 35 noch Single bin. Zwischen uns besteht zwar keinerlei sexuelle Spannung, aber man kann ja nicht alles haben (und dieses Problem sollte sich auch mit ausreichend Verzweiflung und Alkohol beheben lassen!)
Ich: „Hey Spatz.“
Simon: „Was ist los, du klingst so fertig“
Ich: „Bin ich auch“
Simon: „Hast du dein Vorhaben keinen Alkohol mehr zutrinken, doch nicht so konsequent verfolgt?“
(Verdammt, woher weiß er das schon wieder?)
Ich (leidend): „Neihen“
Simon: Ich hoffe du erwartest kein Mitleid von mir, du bekommst nämlich auch keins.
Es folgt ein längerer Monolog seinerseits über die Schlechtigkeit des Alkohols, seine negativen Auswirkungen auf mein Sozialverhalten im speziellen und allgemeinen, und nach Svens Enthüllungen über den gestrigen Abend stimme ich ihm generell erst mal zu und schäme mich. Daraufhin wird Simon wieder lieb und sagt mir was Nettes. Simon macht die allertollsten Komplimente der Welt. Noch ein Grund warum ich ihn so gerne mag, abgesehen davon dass er scheinbar der einzige Mensch auf der Welt ist der meinen Musikgeschmack teilt.
Dann erzählt er mir von seinen Problemen (die auch relativ zahlreich sind – Frauen!!).
Insgesamt liege ich knapp drei Stunden in der Wanne, es wird langsam kalt, mein Haut verabschiedet sich so nach und nach, aber egal, ich hoffe das Wasser hilft mir beim klar kommen. Das wäre schön.
Klappt nicht, also aus der Wanne raus und zu Jule an unseren zugemüllten Küchentisch, Kaffee! Inzwischen ist es 18.00 Uhr, und dafür dass ich eigentlich total verkatert bin, habe ich nun wirklich schon verdammt viel hinter mir.
Ich armes Ding
Eine Stunde später klingelt das Telefon. Keine Ahnung wer mich jetzt anruft, aber ich bete das es nicht meine Mutter ist (die ich ja eigentlich sehr lieb habe, aber in gewissen Momenten einfach nicht ertrage).
„Hallo?“
„Ja, hi, hier ist Lukas.“
Im Zeitraffer laufen Bilder an meinem inneren Auge vorbei, der Knutschflecktyp! Und jetzt wünsche ich mir es wäre doch meine Mutter gewesen!
„Oh, äh, ja … hallo.“
Stimmt ja, ich habe ihm meine Nummer auf den Unterarm geschrieben. Warum eigentlich? So gut hat er auch nicht geküsst, hat mich eher an einen Hund erinnert, der mir das Gesicht abschleckt. Oh genau so was wollte ich doch eigentlich vermeiden…für alle Ewigkeiten!
Ich versuche ihn abzuwürgen (leider nur am Telefon), bin aber zu schwach um mich zu wehren und lasse mir ein Treffen aufdrängen. Morgen im Park. Na dann.
Als ich am nächsten Tag am verabredeten Treffpunkt stehe bin ich trotz dem Fehlen nennbarer Gründe etwas nervös. Soweit ich mich an den jungen Mann erinnere, war er ziemlich uninteressant, nicht blöd oder so, aber einfach gähnend langweilig. Zugegeben, wir hatten uns nicht viel unterhalten und als er auf mich zu geschlendert kam, hatte ich eine Zeit lang die Hoffnung, dass wir nüchtern und bei Tageslicht doch ein nettes Gespräch mit einander führen könnten (und das seine feucht Art zu küssen auf den Alkohol zu schieben war). Zum Glück war es relativ kühl, weswegen es nicht weiter auffiel, dass ich den doch ziemlich großen Bluterguss an meinem Hals unter einem Rollkragenpullover verstecken konnte. Meine Hoffnung verschwand allerdings als ich seine nervtötende Angewohnheit bemerkte, Teile seiner Sätze zu wiederholen.
„Ich war schon sehr betrunken diesen Abend, war ich da wohl.“
„Ich mag diesen Park schon sehr, diesen Park“
„Du siehst wirklich gut heute aus, siehst du heute.“ usw
Das zerstörte wirklich jedes noch so nett gemeinte Kompliment.
Nach einer dreiviertel Stunde war ich mit meinen Nerven am Ende. Warum war mir das Vorgestern nicht schon aufgefallen. Trübte der Alkohol meine Sinne wirklich dermaßen??? Verfluchte Scheiße.
Ich ließ mir noch ein großes Bananeneis ausgeben (obwohl es eigentlich nun wirklich kein Eiswetter war!!), aber auch das machte es nicht besser und Eis macht eigentlich alles besser.
Als ich endlich wieder nach Hause kam war ich schwer deprimiert. Mein Vorhaben keinen Alkohol mehr zu trinken war nicht nur kläglich gescheitert, auch hatte mir dieser Abend (bzw. seine Folgen) wieder gezeigt, dass es mir scheinbar nicht möglich war einen netten Typen kennen zulernen, der nicht irgendeine schwere Macke hatte. Ich legte mich zu Jule aufs Sofa und ließ mir von ihr den Kopf kraulen, während wir darüber nachdachten was um Himmels Willen wir denn falsch machten. Wir einigten uns erst einmal darauf, dass alle Jungs blöd waren und gingen ins Bett.
Jetzt liege ich hier, starre an die Decke und bin mir vollkommen im Klaren darüber, dass es so einfach leider nicht ist. Seit dem Ende meiner letzten (und einzigen „ernsthaften“, also mit Verpflichtungen gekoppelten) Beziehung, waren meine Zusammentreffen mit Vertretern des holden Gegengeschlechts enttäuschend, äußerst enttäuschend. Die Freiheit was ich wollte mit wem ich wollte zu tun, die mir in der Beziehung, in der ich mich so eingesperrt und gefangen fühlte, gefehlt hatte, entpuppte sich als trügerisch. Statt frei fühlte ich mich oftmals allein und haltlos.
Super, jetzt bin ich noch deprimierter als vorher.
Zumal, wenn man diese ganze Beziehungsscheiße mal ein bisschen rational betrachtet, ist es nun wirklich keine Alternative zum „alleine sein“ sein, seine kostbare Zeit mit jemanden zu verbringen mit dem man sich nicht wohl fühlt, nur weil man in einem schwachen Moment unbedingt der Meinung war eine „Beziehung“ mit diesem Menschen eingehen zu müssen. Ich bin ja nicht ewig jung und hübsch! Oder so ähnlich.
So lief es das letzte Mal, ich dachte mir „Ja super, klasse. Spielen wir mal „Vater-Mutter-Kind“ ohne Kind, aber dafür mit ganz vielen Problemen die kein Mensch braucht und wir sowieso nicht und nicht hätten wenn wir alleine wären.“ Drei Monate die oft erwähnte rosa Brille aufgesetzt - und dann?
Dann muss ich plötzlich feststellen, dass seine Mutter ein Drachen ist, dass er von mir die größtmögliche Aufmerksamkeit fordert, dabei nicht eingeschränkt werden will, dass ich auf keine Party darf ohne das er dabei ist um dann den ganzen Abend schmollend in einer Ecke zu sitzen. Na toll.
Jetzt brauche ich mich nur mit meiner Mutter rum schlagen (und das ist eigentlich wirklich ziemlich harmlos), nur mir und Jule genug Aufmerksamkeit zukommen lassen und habe kein quengelndes Anhängsel mehr „Wann gehen wir nach Hause? Wie lange willst noch bleiben? Musst du mit dem tanzen? Tust du das um mich eifersüchtig zu machen?“. Dafür krault mir auch niemand den Rücken zum einschlafen, strahlt mich an, wenn ich neben ihm aufwache und bringt mir Schokoladenkuchen zum Frühstück. Das war das einzige was in unserer Beziehung immer ohne Streit lief und, dass mir am meisten fehlt, die Tage an denen wir miteinander ausschlafen konnten, bis nachmittags im Bett blieben um zusammen zu frühstücken, dämliche Kindersendungen zu schauen und uns nur miteinander zu beschäftigen.
Es ist traurig, dass ER mich jetzt hasst. Nun ist die Beziehung leider auch an meinem Ego-Trip kaputt gegangen. Aber wie sagte einst ein kluger Mensch:„Hinterher ist man immer schlauer!“ Super, du Arsch, sag mir das mal VORHER!! Jetzt kann ich das wenigstens unter „Erfahrung“ einordnen, zwei Daumen nach oben. Es in meiner nächsten Beziehung besser machen, mehr Rücksicht nehmen, falls ich irgendwann noch mal jemanden kennen lernen sollte, von dem ich nicht annehmen muss, dass er aus irgendeiner Anstalt ausgebrochen ist. Dafür stehen die Chancen aber im Moment anscheinend eher schlecht.
Prima, wenn das so weiter geht, wird das mit dem schlafen heute gar nichts mehr!!!
So ein Scheiß.
Eine Woche später hat unser Klops (formally known as Sven) Geburtstag, inklusive Party. Sein Jungs (Homies, Ganster, Crowd, was auch immer) ein Haufen extrem cooler HipHop Junges, hängen im Wohnzimmer, alle rauchen cool, gucken cool und nicken, mehr oder weniger gleichmäßig, mit dem Kopf. Ice, ice Baby!!
HipHop-Typ 1: Fetter Track, Alter!
HipHop-Typ 2: Ja Mann.
Es wird weiter genickt. Na spitze.
Ich kann die Typen auch nie auseinander halten, die sehen irgendwie alle gleich aus, Hosen in denen man problemlos fünf von ihnen unterbringen könnte, die Jungs sind ja auch alle total abgemagert (zu cool zum essen???), dämlich Caps (die haben höchstwahrscheinlich mit dreißig alle Haarausfall!) und eine komplette Unfähigkeit normale Gespräche zu führen in denen nicht jedes zweite Wort „Alter“, „Mann“ oder wahlweise auch „so“ ist. Wenn gesprochen wird, dann über Musik. Alles in allem eine sehr herzliche Atmosphäre, weswegen ich mich schnell mit Jule und einem lieben Freund von uns in die Küche verziehe. Dieser junge Mann, namens Kenny, ist einer der lustigsten Menschen, die ich je kennen lernte, perfekt zum Party machen und betrinken!!! Zumal er auch immer klingt wie Benjamin Blümchen mit mittelschwerer Grippe, wenn er betrunken ist.
Der macht uns gleich Jamaika Rum Punsch mit viel zu viel Rum. Was nicht so schlimm ist, weil sich unser Gesprächsniveau dem im Wohnzimmer langsam anpasst.
Jule: Mehr!!!!
Kenny: (undefinibares Gebrabbel) Pfff… hier steht doch irgendwo noch Rum rum, ich
Mach noch was, ich mach noch was!!!
Mein nächstes Glas scheint nur noch mit Rum gefüllt zu sein, den Saft schmeckt man nicht, wenigsten sieht man ihn.
Später versuche ich tatsächlich mich mit einem der HipHop-Typen zu unterhalten scheitere aber kläglich an der sprachlichen Barriere und seiner Dummheit.
Schade, also keinen kulturellen Austausch heute, aber mit jemanden der mich fragt was denn ein „O-asis“ ist, rede ich nicht, da bin ich intolerant.
Ich summe ihm die Melodie von „Wonderwall“ vor. Er: “Ach ja doch klar Mann!“ – Wie denn, er nennt mich „Mann“, soll ich mich jetzt beleidigt fühlen? – „Das hat uns die Deutschlehrerschlampe vorgespielt als wir dieses durche Buch gelesen haben, wo es die ganze Zeit nur um Gitarrengeschrupp geht.“
Okay, gut, ich schätzte einfach mal er meint „Soloalbum“, aber nach dieser „Inhaltsangabe“, habe ich nun wirklich keine Lust mehr mit dem Typ zu reden. Ich setzte mich wieder zu Kenny in die Küche und versuche mich schnellst möglich ins Nirwana zu befördern. Klappt gut. Danke Ken.
Die nächsten Tage beschäftigen Jule und ich uns damit Sven zum Aufräumen zu bewegen, was ein nahezu unmögliches Unterfangen ist und mich meinem lang angekündigtem Magengeschwür wieder ein Stück näher bringt.
Ansonsten bringen unsere Anstrengungen nicht viel und wir das verwüstete Wohnzimmer wieder in einen bewohnbaren Zustand. Ich erwähnte doch bereits, dass das WG Leben nicht nur mit Vorteilen gesegnet ist, oder?
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