2.
Und nun etwas völlig anderes.
Entspannung!
Ich liege in meinem Zimmer auf dem Bett,
kuschle mich noch mal ins Kopfkissen und ringe mit dem Aufstehen.
Es ist Freitag, heute habe ich keine Vorlesung,
die ganze Silvester- und Weihnachtshysterie endlich vorbei!
Entspannung. Das ist wirklich mal was
anderes.
Zwar hatte ich in letzter Zeit nicht so
arg viel Stress und sogar noch eine Woche Urlaubsplacebo bei meinen Eltern.
Die sind auch äußerst unanstrengend, aber zu Hause sein ist
eigentlich das Beste. Jetzt liege ich hier also und wiege die Vor- und
Nachteile des Aufstehens gegeneinander ab.
Apropos, ich habe Silvester doch nicht
allein im Bett, sondern auch mit meinen Eltern verbracht. Die beiden Leben
in einem Dorf mit gerade mal 350 Einwohnern. Während meiner Pubertät
war es die Hölle, heute bin ich freiwillig dort. Ich hatte mich zwar
auch damals damit abgefunden, aber gerade traumhaft war es nicht, meine
Wochenenden in kondenswasserfeuchten Festzelten zu verbringen, um mich
dort auf Bierzeltgarnituren rumspringend mit verwässerter Bierplörre
und schluckweise portioniertem Zuckerschnaps von einem Delirium ins nächste
zu befördern. Aber das war ja alles noch akzeptabel. Richtig schlimm
war nur die Musik - bzw. „Musik“! Deutsches Traditionsgut von „Anita“ über
„Hossa“ bis „Zeig mir die Möpse“. Hölle, Hölle, Hölle.
Der Silvesterabend lief übrigens
ähnlich ab, „the same prucedure as every year, James!“ Nicht nur,
dass die selben Leute da waren, wie die Jahre davor (nun hat man ja bei
350 Menschen, von denen nur 1/3 unter vierzig ist, nicht ganz so viel Auswahl)
es wurden auch die selben Geschichten diskutiert, die als ich vor drei-1/2
Jahren weg zog schon alt waren. Kann so viel Zeit so ungenutzt, so ereignislos
verstreichen? Menschmenschmensch...!
Ich bin mir nicht sicher, ob da ein Zusammenhang
besteht, aber heute bin ich extrem unmusikalisch, Instrumente werden in
meinen Händen zu Mord- oder Folterwerkzeugen. Aber, lassen wir das!
Nicht, dass jetzt ein falscher Eindruck
entsteht, es gibt durchaus einige Aspekte des ländlichen Lebens, die
mir gefallen. Auf jeden Fall ist es ruhiger, entspannender, netter und
beschaulicher. Mhm, aber auch nicht so unbedingt Adjektive, die man als
junger Mensch mit seiner Umgebung in Verbindung bringen will. Deswegen
wohne ich ja jetzt auch in Nordhessens Number-One-Metropole. Zwei Daumen
hoch!
Im Endeffekt mach es für mich ja
auch keinen großen Unterschied, ob ich Samstagmorgens von einer Straßenbahn
oder einem Traktor geweckt werde. Nicht wirklich. Also, nun um den Eindruck
entgegen zu wirken ich sei eine genervte Dauernörglerin, ich habe
mich mit meinem Umzug nicht gegen, sondern FÜR Etwas entschieden.
Ich fühle mich in Kassel wohl und
zu Hause, und trotz dem Mangel an nennbaren Gründen. Die kalte, graue,
triste Atmosphäre, gepaart mit dem nordhessischen Wetter und den eher
verschlossenen, mürrischen Einwohnern, reizt mich ungemein. Ich mag
das.
Bei den dauerfröhlichen Hardcorekarnevalisten
oder den Lederhosen- und Biergartenfetischisten mit dem schlimmen Dialekt,
würde ich sicherlich zum Massenmörder werden!
Was aber Alles trotzdem nicht die Frage
klärt, ob ich jetzt aufstehen soll oder nicht. Mhm. Mich dürstet
es nach Kaffee, also doch aufstehen. Später.
Gerade ist es schön auf dem Rücken
zu liegen und nachzudenken. Über die letzten vier Monate. Ohne IHN.
Keine Angst, ich will euch jetzt nicht von der Trennung von einer ersten
großen Liebe erzählen, weil doch ein schon etwas ausgelutschtes
Thema. Es nervt mich ja selbst, obwohl ich ja irgendwie noch dabei bin.
Verzwickt.
Es klopft, Jule hat Kaffee gekocht, DAS
ist ein Grund aufzustehen, Ein paar Minuten später sitzt Jule, Mo
und ich in der Küche mit dem Kaffee und Zigaretten, bauen Sandwichs
mit allem und Remolade. Sven ist noch arbeiten und muss schreiende Kinder
durch die Gegend transportieren, der Arm!
Unausweichlich kommt die Frage nach der
Wochenendplanung auf mich zu. Eigentlich habe ich keine große Lust
die beiden nächsten Abende in verrauchten, stinkenden Clubs zu verbringen,
ich habe doch gerade Winterschlaf. Vielleicht bin ich aber meiner Partyzeit
einfach schon entwachsen. Mit 21? Autsch!
Könnte aber auch daran liegen, dass
ich mich nicht mehr betrinke und deswegen aber Unbehagen empfinde, wenn
ich mich unter lauter betrunkenen Menschen wiederfinde. Schade eigentlich!
Obwohl es ja natürlich eher positiv
ist, dass ich jetzt in weniger peinliche Situationen hineingerate und die
waren bisher schon zahlreich aufgrund übermäßigen Alkoholskonsums
auf mittelmäßigen Partys. Vor kurzem musste ich erfahren, dass
noch immer ein BH von mir in einem Lokal am Kühlschrank hängt.
(Die Geschichte dazu will ich mir jetzt lieber ersparen, nur ein gut gemeinter
Rat: Wenn ihr sturzbetrunken und auch schon mit klarem Kopf totale Loser
im Tischfußball seid, lasst euch nienieNIE auf eine Partie „Strip-Kicker“
mit dem Regionalmeister dieser Disziplin ein! Nein, wirklich nicht!) Nach
diesen Überlegungen ist es wohl das Beste, heute einfach mal zu Hause
zu bleiben.
Um meine freie Zeit ein bisschen produktiv
zu nutzen, habe ich angefangen, mir häkeln beizubringen. Oh mein Gott,
wie hart ist das eigentlich? Ich gehe nicht mehr feiern, sondern bleibe
zu Hause und häkle! Jetzt bin ich deprimiert!
Wenigstens beschließt der Rest der
WG auch das Wochenende mal ohne Party und Alkoholexzesse zu verleben, da
komme ich mir dann nicht ganz so langweilig vor.
Also bleibe ich zu Hause. Entspannend
wird es trotzdem nicht so richtig. Ich habe nämlich ein außerordentliches
Talent dafür, Chaos zu produzieren und zu verbreiten. Nun sitze ich
in der Küche um dann gleich aufzuspringen und zu malen oder ein Regal
umzuräumen, beginne fünf Minuten später einen Kissenbezug
zu nähen, will dann doch lieber fernsehen, einkaufen, mein Zimmer
streichen und wenn ich dann abends einem Herzinfarkt nahe (weil ich über
den Tag auch mindestens zwei Kannen Kaffee und eine Schachtel Zigaretten
zu mir genommen hab) ins Bett falle, ist mein Zimmerfußboden übersäht
mit halbfertigen Dingen, die ich am nächsten Tag beenden will und
nicht werde. Ahh, Hilfe! Beim Schreiben ist es genauso, ich fange hundert
verschiedene Themen an, verbunden mit so originellen Überlegungen
wie „Außerdem“ oder „Übrigens“, und bekomme nichts wirklich
fertig, weil mir viel zu viel Zeug durch den Kopf stürmt. Vielleicht
sollte ich einfach mal weniger Kaffee trinken.
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