Und sonst so?

1.
Ich liebe es wirklich, in einer WG zu wohnen. Gerade in dieser. Ich hatte das Glück, mit meinen drei besten Freunden zusammen ziehen zu können. Mo, Jule und Sven. „Ich“ ist übrigens eine junge Frau, ergo besteht unsere lustige, kleine Wohngemeinschaft auf zwei Jungs und zwei Mädchen. Ich bin so unglaublich froh, endlich wieder in einer humanen Wohnsituation in leben, denn leider musste ich die Erfahrung machen, dass paranoide, frustrierte, gelangweilte Vermieter ganz schön anstrengend sein können. Sehr sogar. Wenn ich meine Drei nicht gehabt hätte, wären die letzten Wochen echt mies für mich gewesen. Trennung und Schule vorbei und kein Plan für die Zukunft und überhaupt. Ganz viel Zeug, dass durch meinen armen, kleinen Kopf sauste.
Gerade zu Jule habe ich eine ganz besondere Beziehung aufgebaut. Wie hatten beide noch nie eine beste Freundin, mit der wir über einen längeren Zeitraum klar kamen. Ich habe Frauen nie verstanden. Was ist toll daran, rumzuzicken, Szenen zu machen, hysterisch zu werden oder drei Stunden im Bad zu stehen? Find ich blöd, Jule auch, so ein Glück! Sie ist eben anders, sehr anders, aber hallo! Insider beschreiben unser Verhältnis als eine Mischung aus „Hanni + Nanni“ und „Beavis & Butt-Head“. Oder so ähnlich. Aber gut.
Ich kannte Jule erst ein halbes Jahr, bevor wir beschlossen, mit unseren beiden platonischen Lebensgefährten zusammen zu ziehen. Zu dieser Zeit verbrachten wir schon so ziemlich jede freie Minute miteinander. Ich klinkte mich nur ab und zu aus, um meinen (nun leider Ex-)Freund zu sehen. Es lag also nur nahe, unseren Wohnraum zusammen zu legen.

Der Vorteil einer WG ist natürlich, dass man nie allein ist. Der Nachteil ist, dass man sicher sein kann, dass, wenn man nachmittags mal ’ne Stunde schlafen oder seine Ruhe haben will, jemand anderes etwas ganz lautes tun muss. Direkt vor meiner Zimmertür. Apropos Lärm: Leider besteht die Wand zwischen Svens und meinem Zimmer nur aus dünnen Holzplatten, was bedeutet, dass ich IMMER, wenn er Musik hört, mir das Geleier mit-antun muss (und wir haben äußerst unterschiedliche Vorlieben, was Musik angeht!). Jetzt sitzen wir aber alle zusammen und trinken und reden ganz viel Quatsch, damit können wir uns stundenlang beschäftigen. Allerdings wäre es bestimmt relativ unlustig davon hier eine Kostprobe zu geben, denn das Meiste ist schon am nächsten Morgen nicht mehr amüsant. Leider, aber so ist das eben mit Situationskomik.
Aber jetzt mal zu etwas ganz anderem: Als ich neulich mit Mo(ritz, sein voller Name!) in der Therme war, ist dort ein Mann mit abgebundenen Genital rumgelaufen. Ich achte normalerweise nicht so sehr auf die Körper der anderen entkleideten Saunagäste, aber dieses weiße Band im Kontrast zu solariumsgebräunter Haut ist mir quasi ins Auge gesprungen. Oh Mann.
Warum knotet sich jemand in einer öffentlichen Sauna etwas um den Penis? Mhm, ich glaube, ich will es gar nicht wissen. Zumal die ‚junge’ Dame, die neben mir im Solarium lag, noch sehr viel amüsanter war. Also, ich bin eine Frau und ich habe Brüste (oh, Wunder!) und diese kippen, obwohl ich noch jung bin, zur Seite weg, wenn ich auf dem Rücken liege. Bei dieser Frau, die ihren 39. Geburtstag bestimmt schon fünfmal gefeiert hat, standen sie wie aus Beton gegossen. Okay. Silikonkissen lassen igre Brüste TOTAL natürlich aussehen, das fällt überhaupt nicht auf und keiner merkt es!
Eigentlich wollte ich diese Frau fragen, ob ich mal anfassen darf, aber wahrscheinlich hätte sie mir mit ihren falschen Nägeln die Augen ausgekratzt oder mich mit ihren Haarverlängerungen erwürgt. Hilfehilfe.
Und jetzt werden Brüste im Fernsehen aufgeblasen. Naja, aber über das TV-Programm möchte ich mich nicht auslassen. Machen ja schon andere.
Ich habe nur eine einzige Frage: Was mach Sonya Krauss im deutschen Fernsehen? Welcher Idiot hat dieses Ding auf die Menschheit losgelassen und warum? Ich schaue mir ja prinzipiell gerne Heimwerkersendungen an, um mir super-tolle Ideen für unsere Wohnung zu holen, die ich dann nie verwirkliche, weil ich keine Lust habe. Aber, wenn ich Sonya Krauss sehe (und vor allem höre!), werde ich aggressiv. Quietschende Türen klingen angenehmer. Aber, lassen wir das.
Fernsehen macht ja sowieso blöd und da mein Kopf sich die meiste Zeit anfühlt, wie ein nasses Brötchen, brauche ich das nicht auch noch. Nein danke!
Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich nicht mehr richtig schlafe. Nachts bin ich viel zu aufgedreht und wach (wer weiß warum, sollte es mir bitte jetzt sagen) und tagsüber machen – neben den wohnungsinternen Geräuschquellen – die Kinder in der Etage über uns sich alle Mühe, den größtmöglichen Lärm zu verursachen. Danke dafür. Teppichratten.

Heute ist Sonntag. Sonntagmorgen (beginnt immer so gegen 14 Uhr) in unserer WG hat etwas von einer Freak Show. Sven sieht aus wie ein Zombie, ich rieche nur so. Mo kommt vor Einbruch der Dämmerung nicht aus dem Bett und wir kommen ihn ab und zu in seinem Zimmer besuchen oder er schleppt sich unter sichtbaren Qualen ins Bad. Jule muss meistens irgendwelche Familienmitglieder besuchen und kommt relativ genervt nach Hause. Dafür bringt sie dann tolles Essen mit. Das ist immer sehr schön.

Apropos „schön“: Ich liege gerade entspannt in meinem Bett und schaue mir „Blondes Gift“ an. Man mag es nicht für möglich halten, aber es gibt tatsächlich noch gute Sendungen im deutschen Fernsehen. Nicht viele, aber ein paar. Unglaublich.
Barbara Schöneberger ist einer der letzten lustigen Menschen. Ich finde diese ganze „Comedy“-Geschichte eher anstrengend. Menschen, die versuchen auswendig gelernte Texte von unterbezahlten Autoren halbwegs souverän rüber zu bringen, sind einfach nur selten lustig. „Comedy“ ist, meiner Meinung nach, nur gut, wqenn es spontan und improvisiert ist oder völliger Trash, wenn es so absurd und daneben ist, dass man sich fragen muss, von welchem Planeten die Macher kommen. Früher habe ich mich heimlich aus dem Bett geschlichen um „RTL-Samstag-Nacht“ schauen zu können. Zwei daumen nach oben für „Die politische Ecke“ und „Far out“. Karl Ramseier ist tot!!
Die „Bullyparade“ war in den ersten zwei, drei Staffeln am Besten. Ich will Bully und seine Tapete wiederhaben! Scheiß auf das „(T)Raumschiff“. Der Hype machts kaputt. Sag ich jetzt einfach mal so. Andererseits kann man ja auch nicht immer das Gleiche machen. Trotzdem finde ich, verschwand der Charme dieser Sendung gemeinsam mit Herrn Herbigs Kopfbehaarung. Vielleicht bin ich aber auch nur neidisch, weil ich doch immer den erfolgreichsten deutschen Film ever machen wollte. So ein mist!
Aber, wo war ich? Barbara Schöneberger! Tolle Frau. Schicke Sendung. Das ist doch mal was Neues! Ich kann auch mal was Nettes sagen, ich muss nicht immer nur meckern! Nur manchmal.
Jetzt zum Beispiel. Ich habe neulich etwas sehr sehr bizarres entdeckt (natürlich wieder im TV, das liegt aber daran, dass meine Anlage nicht funktioniert und ich deshalb meist den Fernseher im Hintergrund laufen lasse) und zwar gab es auf irgendeinem Privatsender ein „ultimatives-Hitgiganten-Pop-Club-Xmas-supersonderspezial-Special“ oder so was. Natürlich wurden in dieser Sendung auch, mit Hilfe von Bildern halbverhungerter Kinder, Spenden gesammelt. Natürlich, ist ja schließlich Weihnachten. Jedenfalls sagt irgendein gerade mal C-Klassen-Prominenter: „Helfen Sie uns, diesen Kindern das Leben zu retten!“. Erst mal soweit noch nicht schlimm, aber dann kommt der Abspann zur Werbung und jetzt ratet mal, welches Lied da läuft: Der alte Discoklassiker „Born to be alive“. Mhm... – fand ich persönlich dann doch geschmacklos.

Heute ist dann wieder einmal Montag und wir haben ein äußerst durches Wochenende hinter uns.
Freitag war ja noch relativ normal. Sven ist nach seiner Ziviweihnachtsfeier sturzbetrunken nach Hause gekommen. Sven ist immer so niedlich, wenn er sich betrinkt. Die meisten Männer benehmen sich ja total bescheuert, aber er nicht. Sven ist immer lustig, macht Party und freut sich. Soviel dazu.
Am Samstag waren wir auf seiner sehr netten, allmonatlichen Musikvereinigungsparty. Da betrinke ich  mich immer viel zu sehr. Menschmenschmensch. Wir haben viel getanzt, getrunken und als Sven noch Geld gefunden hat, hat er ganz viel Tequilla ausgegeben. Später habe ich mich dann noch fast eine Stunde mit meinem Lieblingsgrufti Morgan über seine Weltherrschaftspläne unterhalten und ich habe wieder angefangen, Frauen anzugraben. Das mache ich immer, wenn ich betrunken bin. Bis mir irgendwann einfällt, dass ich gar nicht lesbisch bin. Mhm. Immerhin bin ich relativ erfolgreich dabei. Vielleicht sollte ich mich doch umorientieren, dann Videos drehen und verkaufen. Guter Plan. Mo und Sven sind schon früher nach Hause gefahren und Moritz hat sein Handy im Taxi liegen lassen. Als er dann versucht hat, bei dem Taxiunternehmen anzurufen, ist er ausversehen (gleich zwei Mal hintereinander) beim Polizeinotruf gelandet. Am Schluss hat er sein Handy aber noch wiederbekommen. Zum Glück.
Jule und ich sind mit drei anderen netten Jungs (unter anderem mit Morgan) nach Hause geschwankt. Morgan wurde dann in der Bahn von einer Gruppe Pseudo-Ghetto.Gangstern angemacht, weil er eben ein Grufti ist. Naja, ich konnte mich mal wieder nicht beherrschen und habe diese Idioten ausgelacht (sie waren aber auch zum Lachen!). Das fanden sie nicht so gut. Naja, lange Rede, kurzer Sinn, später gab es auf’s Maul. Mit ’nem Gürtel. War nicht so lustig. Aber, es gibt schlimmeres, ich hätte auch ohne Hirn und mit zuviel Aggressionspotential auf die Welt kommen können. Also, da hab ich ja noch mal Glück gehabt.
Sonntag war dann wieder ein so übler, verbratzter Ausnüchterungstag, mit Schwindel, Kopfweh und Magenparty. Abends sollte dann ein Konzert von meiner Lieblingsband sein und mir ging es so unglaublich schlecht. Kurz bevor ich dann los musste, sagte ich noch zu Sven, wie toll es wäre, wenn das Konzert verschoben werden würde. Tja, was soll ich sagen: wurde es dann auch tatsächlich. Das erfuhr ich nur leider erst, als ich schon vor der Halle stand. Na toll. Also wieder durch die ganze Stadt zurück. Mir bleibt ja nix erspart. Mein Kopf fühlt sich an, wie mit Haferflocken angefüllt. Ich hatte lauter Beulen und Veilchen und dann sollte ich in meinem Zustand noch laufen. Ganz weit. Normalerweise ist das ja alles nicht so das Problem, aber doch nicht heute. Jule hatte mich zwar zur Halle gefahren, war aber nun unterwegs zu ihren Eltern. Verdammt.
Also stiefelte ich so langsam los. Aber, dieser Spaziergang war wohl das Schönste, was ich in der letzten Zeit erlebt hatte. Mir sind den ganzen Abend nette Menschen begegnet und manchmal kann ein Lächeln von einem Fremden mehr Wärme geben, als man glaubt. Aus irgendeinem Grund sind mir an diesem Abend viele schöne Dinge aufgefallen, angefangen von einem turtelndem Rentnerpaar bis zu einem atemberaubenden Panoramablick über einem Teil der Stadt. Das war wunderschön. Klingt jetzt vielleicht sehr rührselig, war aber so. Als ich nach Hause kam, wartete schon eine Pizza auf mich. Alles in Allem ein sehr schöner (obwohl etwas durcher) Abend und ein guter Ausklang für dieses Wochenende.
Dummerweise wartete heute schon das nächste Problem auf mich. Weihnachten. So ein Scheiß. Ich könnte immer kotzen, wenn die gesamte Innenstadt nach Zucker, Glühwein und Vanille stinkt. Abartig, genau wie die ganzen Menschen, die sich schon nachmittags um zwei auf dem Weihnachtsmarkt betrinken müssen, dazu noch dieses Weihnachtsliederbeschallungsgehirnzerfickmassaker bei dem ich immer vermute, Trommelfellschwund zu bekommen. Dann denke ich „Obacht! Mach dir Gedanken über Geschenke!“, drei Tage vor dem Vierundzwanzigsten hab ich dann den Kopf voll mit schicken Ideen, aber keine Zeit mehr, sie umzusetzen. Verzwickte Situation.
Das Schlimmste an Weihnachten ist aber, dass es nur noch eine Woche dauert, bis Silvester.
Ich mag Silvester nicht. Ich hatte in den letzten zehn Jahren nur eine lustige Party an diesem Besäufniszwangtag. Das war letztes Jahr, als ich Jule kennen gelernt habe. Ansonsten waren es immer die gleichen, langweiligen Rituale. Überhaupt, dieser Zwang zu feiern, nervt, genau wie der naive Glaube, im neuen Jahr würde sich irgendetwas ändern. Hallo!? Nur weil man von vorne anfängt zu zählen und Geld für einen neuen Kalender ausgeben muss, fängt euer Leben nicht von vorne an. Das ist doch alles nur Geldmacherei. Ich jedenfalls verbringe Silvester dieses Jahr in meinem Bett.
So! Kannste mal sehen, ich mache bei dem Dreck nicht mit. Ich besaufe mich wann ich will, ich brauche keinen Tag an dem ich das mit Gruppenzwang rechtfertigen kann. Die ganze „westliche“ Welt betrinkt sich an diesem einen Tag und tut so, als würde sich irgendetwas ändern, nur um sich am nächsten Tag wieder mit den alten, dummen Aggressionen und Problemen rumzuschlagen. Mich nervt Silvester sogar noch mehr, als Weihnachten. Alles blöd! So, das musste mal raus.
„And now something very different.“

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